Lieber Herr Wagner,
Ihr heutiger Nachruf auf Jürgen Klinsmann hat mich wieder zu Tränen gerührt. Nicht weil ich es schade finde, dass "Klinsi" nicht mehr Babysitter für die verwöhnten Bengel in München spielen muss. Nein, ich weinte um Sie. Um Sie und Ihre Geschichte. Tagein tagaus - sagen wir wochentagein wochentag aus - schreiben Sie öffentlich Briefe an Menschen, denen Sie egal sind. Manchmal sind Sie so verzweifelt, an Dinge, Naturkatastrophen, Gefühle, Krankheiten oder Häuser zu schreiben. Dann tun Sie mir besonders leid.Doch zurück zu "Klinsi". Warum ich Ihnen ausgerechnet heute ebenfalls einen öffentlichen Brief schreibe, den Sie höchstwahrscheinlich ebenfalls nie lesen werden, sind die überaus auffälligen Parallelen zwischen "Klinsi" und Ihnen selbst. Ist es Ihnen nie aufgefallen? Sowohl seine, als auch Ihre Ansprachen verklingen bei der jeweiligen Zielgruppe ungehört. Sowohl bei Ihnen, als auch bei "Klinsi" will die Kanzlerin mitlerweile den Abgang. Die stille Verzweiflung im Blick. Die ewige Flucht in die Vergangenheit.
Der Unterschied zwischen Ihnen beiden ist, dass "Klinsi" inzwischen - wenn auch unfreiwillig" - den Absprung geschafft hat. Aber Sie, Sie sitzen da noch. Tippen fleißig Ihre Briefchen und warten, dass das Wochenende kommt. Und Sie bleiben, trotz all des Hasses, trotz all der Verachtung, mit einem Glas in der Hand. Wenn alle schon schlafen gegangen sind, sitzen Sie noch da mit der deutschen Fahne. Früher hatten Sie die von der WM, heute von "ein paar Drinks".
In tief empfundener Trauer
Ihr Ede Hirawith
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Lieber Herr Wagner,
was musste ich heute für Sie kämpfen. Gleich nachdem mein Redaktionsleiter Ihre heutige Beichte gelesen hatte, war er wild entschlossen, eine reißerische Enthüllungsgeschichte über Sie zu veröffentlichen. "Wagner klaute Woolworth pleite!" war da zu hören und "Raub-Wagner gesteht finstere Vergangenheit!". Ich konnte Ihn davon abhalten, konnte Sie vor dem öffentlichen Pranger bewahren, denn ich weiß, Ihre Zeit ist noch nicht gekommen. Jeder macht ab und an einen Fehler.
Nichtsdestrotrotz bin ich enttäuscht, dass nun gerade Sie unserer sich damals eben erst erholenden Volkswirtschaft auf so grauenhafte Weise zugesetzt haben. Mag sein, dass in Ihnen nostalgische Gefühle wach werden, wenn Sie sich daran erinnern, wie Sie als Zwölfjähriger Bonbons gemopst haben. Auch ich habe mir damals mit Gelegenheitsjobs einen harten Kanten Brot und an Feiertagen eine Bockwurst mit Senf verdient. Kaufhausdetektiv in Regensburg war so eine Anstellung, die ich damals gern übernahm.
Ich habe Sie beobachtet, die Jahre über. Ich habe gesehen, wie Sie Schaufensterpuppen betatscht haben. Ich war in der Nähe, als Sie in der Männerunterwäscheabteilung durch die Umkleidekabinenvorhänge kiebitzten. Ich habe Sie aufwachsen sehen, Herr Wagner, und ich hielt meine schützende Hand über Sie. Als Sie dann am Tag der Veröffentlichung von "Penny Lane" in der Schallplattenabteilung herumlungerten - Sie waren im zarten Alter von 23 gerade in Ihrem ersten Jahr beim Axel-Springer-Verlag - und danach fehlte plötzlich eine der begehrten Platten, da hab ich Sie in Schutz genommen. Ich habe für Sie gebürgt, denn ich war fest davon überzeugt: Der Franz Josef ist vielleicht ein Schelm, aber das hätte er nicht getan!
Heute lese ich Ihr Geständnis und es bricht mir das Herz.
In stiller Enttäuschung
Ihr Ede Hirawith
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