Der große Ratgeber von Der Rundruf Teil 3
von Heidi RathewSo, Dirk - der erste Beitrag steht, die Besucher strömen in Massen auf dein Blog und du bist das neue große Vorbild der vielen traurigen Siebtklässlerinnen. Eigentlich könnte dein Bloggerleben nicht schöner sein, da bemerkst du etwas sonderbares. Eine gewisse Fallen-Angel hat dir in dein Gästebuch geschrieben. Wortlaut:
duNkle GrÜße!
Schreyb mal übber diCh selbst. Deine SeEle ist miR soo vertraut *seufz*
cut me...
Fallen-Angel
Komische Leute hier. Spätestens jetzt merkst du: Die Zeit ist reif für eine sogenannte "Über..."-Seite. Genau Dirk! Das ist das nächste tolle Ding, das du für ein gutes Blog brauchst. Bei blogger.de löst du das am besten durch einen eigenen Beitrag, den du nicht auf der Startseite anzeigst, später aber im Layout verlinkst. Du loggst dich also ein und denkst dir einen schönen Text aus. Beginnen sollte er auf jeden Fall mit: "Ihr könnt mich nicht verstehen!!1!" (Die 1 ist Absicht, das wissen deine seltsamen Fans). So, aber wie nun weiter? Da du ja schon einige ähnliche Blogs gelesen hast, weißt du was zählt:
1. Deine Zielgruppe ist zutiefst devot!
Deshalb machst du's wie all die anderen und beschimpfst eventuelle Besucher mit hippen Szene-Kosenamen wie "Maden", "fags" oder "Idioten". Keine Sorge, die mögen das und erkennen so auch gleich, wie individuell du bist - wie toll du dich von den anderen abgrenzen kannst.
2. Deine Zielgruppe mag düstere Bildchen!
Du brauchst unbedingt jemanden der sich sehr gut mit Grafikprogrammen auskennt. Ach ja - und natürlich eine Digitalkamera. Damit fotografierst du deine kleine Schwester oder das gestörte Mädchen von nebenan. Am besten in einer bedeutungsschwangeren Pose. Sowas wie verträumt in die Ferne blicken. Oder gen Himmel. Falls ihr ein eisernes Treppengeländer habt, lass sie da durch schaun. Das sieht aus wie weggesperrt. Stacheldraht ist auch gut, das hat was von Heim für besonders schwere Fälle. Wunderbar. Dein Freund mit dem Grafikprogramm kann dir jetzt mit viel schwarz und Weichzeichner aus dem Foto das neue Bild deines alter egos machen. (Und bei Bedarf den Stacheldraht einfügen, wenn du bei der Motivwahl Kompromisse eingehen musstest.)
Foto: caitlin p
3. Beschreibe dich so negativ wie möglich!
Selbstkasteiung ist IN! Du bist Dreck! Jedenfalls sollen alle wissen, wie schwer dein Leben wäre, wenn du halb so alt und weiblich wärst. Du bist sick, verstört, depressiv, sarkastisch, schwierig, melancholisch, sensibel, paranoid, cholerisch, unergründlich, schüchtern, weird, selbstzerstörerisch, kalt, unverstanden, paradox, verlassen, blutdurstig, launisch, phlegmatisch, irritiert, zynisch, belastend und übernächtigt - kurz emo. Erfinde ein paar seltsame Hobbies, was dir als regelmäßiger, anonymer Besucher japanisch angehauchter Imageboards ja nicht allzu schwer fallen dürfte. Versuch es aber im legalen Rahmen zu halten.
4. Grüße Leute, die dich nicht kennen!
Oder Menschen, die es gar nicht gibt. Namen von anderen depressiven, pupertierenden Mädchen kannst du wahllos aus anderen Blogs abschreiben. Es gibt tausende. Sich neue Namen einfallen zu lassen, ist da schon deutlich kniffliger. Am besten du fängst mit einer kleinen Fingerübung an. Schreibe alle Jungs aus deiner alten Schulklasse auf und dazu, dass du sie hasst. Das ging leicht! Nun bilde neue Wörter aus den Namen der Mädchen aus deiner Klasse. Die grüßt du dann. Das klingt jetzt alles sehr verwirrend, aber genau dieses Gefühl willst du ja bei deinen Lesern hervorrufen.
5. Der Abschluss
Was am Ende einer "Über..."-Seite nicht fehlen darf, ist eine Reminiszenz an einen besonders verstört klingenden Grunge- oder alternativ auch ein Black- bzw. Deathmetalsong. Slipknot, Marilyn Manson, vielleicht auch ein alter Nirvanatrack. Noch besser wäre allerdings irgendwas sehr Spezielles. Irgendeine regionale Trashband mit aggressiven Texten macht immer was her. Aber auf jeden Fall englisch! Daraus nimmst du wahllos ein Stückchen Text mitten aus einer Strophe, das so allein keinerlei Sinn hat. Lass es am besten bedeutungsschwanger rechtsbündig am Ende deiner "Über..."-Seite stehen.
Misguided in direction, our misdirection
Pardon me while I pray for light(*)
Sollten Sie wie Dirk noch weitere Fragen zu Ihrem neuen Weblog haben, scheuen Sie sich nicht, uns über die Kommentarfunktion eine Nachricht zukommen zu lassen.
Bereits erschienen: Wie werde ich ein Blogger? und Wie werde ich ein Blogger? II
(*) Mudvayne - (Per)Version Of A Truth
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Der große Ratgeber von Der Rundruf Teil 2
von Heidi Rathew
Da bist du ja wieder, lieber Dirk. Na dann, lass uns gleich weitermachen! Im letzten großen Ratgeber hast du gelernt, wie du dir ein tolles neues Blog bei blogger.de anlegst. Nun ist es an der Zeit deinen ersten Beitrag zu schreiben. Leider bist du aber nicht das traurige, pupertierende Mädchen, das du vorgeben möchtest zu sein. Also überlege dir genau, wie sich diese Gruppe ausdrückt und welche Themen im Leben eines solchen Mädchens eine Rolle spielen. Noch besser: Klaue von den anderen!
Recherche in der Blogosphäre
Da dir heute irgendwie die tolle Idee fehlt, klickst du dich einfach einmal durch ein paar andere Blogs. Nur keine flasceh Scheu, Dirk - Ein wahllos angeklicktes Blog ist mit gut 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit aus dem von dir anvisierten Personenkreis. Während der Begutachtung einer Reihe dieser Machwerke lernst du einige wichtige Regeln:
1. Die Sprache
Du wirst ab jetzt sehr bedeutungsschwanger schreiben. Eine leichte Überheblichkeit gepaart mit mittelalterlicher Grammatik ist ein Muss! Baue Lautbilder ein. Hin und wieder ein *seufz* oder *eineeinsametränerannmeinewangeentlang* lässt die Leser mit dir mitfühlen. Mitleid ist besser als pure Aufmerksamkeit! Benutze auch viele negativ besetzte Adjektive. Grau, betrübt, totgeweiht, traurig, zerfließend, schmerzend sind Worte mit denen du ab jetzt die schönsten Dinge deines Alltags beschreibst. Außerdem solltest du ab und an (so in jedem zweiten Satz) wahllos 3 Punkte ins Satzbild platzieren. Das wirkt irgendwie, als ob du während des Schreibens mit dir selbst ringen würdest. Als ob du gerade unter Schmerzen deine Gedanken durch die Tastatur in das Blog gebierst. Fantastisch, oder? Dem furchtbaren "Web-Slang", den du dir durch Counterstrike in den letzten Jahren angewöhnt hast, musst du übrigens nicht den Rücken kehren! Du solltest allerdings darauf achten, ihn nur an den richtigen Stellen einzusetzen. Das ist manchmal schwieriger, als es sich anhört. Ein lol ist nur als zynischer Abschluss zu weltverachtender Ironie zu empfehlen, gepaart in dieser Situation vielleicht mit einem erbosten wtf. Wenn du es völlig deplazierst, wirkt es sogar ein bisschen manisch irre. Allzu positive Ausdrücke wie ftw (in dieser grauenvollen Welt gibt es keine Gewinner mehr) oder rofl passen jedoch nicht mehr zu deiner neuen Attitüde. Passender wäre für dich eigentlich rofc<> ...rolling on the floor, crying.
2. Die Grundeinstellung
Jedem geht's mal gut und mal schlecht. Bei den meisten Menschen pendelt es sich mit der Zeit in eine Art "Mirdochegal"-Stimmung ein. Nicht so bei dir, Dirk. Jedenfalls nicht bei deinem virtuellen Ebenbild. Du bist permanent traurig, zu Tode betrübt, frisch verlassen oder unglücklich (=unerwidert) verliebt. Und das auch noch in den Flaschen. Am liebsten würdest du sterben oder wenigstens alles vergessen. Außerdem kannst du es nicht leiden, wenn andere gute Laune haben. Aber deshalb schreibst du ja auch dieses Blog.
3. Die Themenwahl
Kein Thema ist zu doof! Nimm ein beliebiges Ereignis aus deinem Alltag und betrachte es aus der Sicht eines depressiven kleinen Luders. Erschreckend, nicht? Du musst es nur zu verpacken wissen! Beispiel:
Du warst heute einkaufen. Jemand hat sich in der Schlange vorgedrängelt, als du noch schnell eine Packung Kippen von der Nachbarkasse geholt hast.
Wen interessiert das? Genau, niemanden! Noch nicht einmal dich selbst. Aber sieh das mal als trauriges, pupertierendes Mädchen:
Hallo, ihr einsamen Seelen *seufz* Ich kann nicht mehr! Mein Körper gehorcht mir kaum noch, er will frei sein! Frei von meinen schwarzen Gedanken. Heute Morgen habe ich nach einer schlaflosen verheulten Nacht nach der verbeulten Schachtel Galoise (die Blauen) neben meinem Lager der Trostlosigkeit gegriffen. Doch... sie war leer! Leer wie meine Gedanken. Zerfressen von der Sehnsucht nach ihm, sehe ich keine Hoffnung mehr. Keine Chance, meine Seele zu betäuben. Später im Supermarkt begafft mich so ein ...Kranker. Ich überlege, mich ihm hinzugeben. Von ekel gepackt will ich sterben. Ich habe es satt. An der Kasse drücke ich den Knopf für meine Trostspender. Nichts passiert. Die Welt ist tot lol. An der Nachbarkasse geht der Automat, ich kann es kaum erwarten, die Verwirrung in meinem Kopf mit blauem Dunst zu verschleiern. Als ich zurückkomme hat dieser Gaffer meinen Wagen einfach zur Seite geschoben und sich an meinen Platz in der Schlange... gestellt. WTF! Ich würde ihm am liebsten die Augen auskratzen! Das ist nicht fair! Gott hasst mich... Ich zittere, mir ist kalt, ich spüre Gevatter Tod.
Macht doch gleich viel mehr her, oder? Sowas wird gern gelesen. Bestimmt glauben jetzt alle, dass es dir ganz mies geht und wollen dich trösten oder beschimpfen virtuell diesen bösen rein fiktiven Gaffer. Auf jeden Fall bist du jetzt etwas ganz besonderes. Das wissen nun alle und werden wie gebannt immer wieder dein Blog anklicken, in der Hoffnung, dass deine zu Text gewordene Traurigkeit Ihnen ein wenig hilft, die eigene trostlose Existenz zu ertragen. Hach, ist das Leben schön.
Lesen Sie demnächst den dritten Teil des großen Ratgebers! Lernen Sie mehr über die richtige Gestaltung der "Über..."-Seite, der Visitenkarte Ihres bloggenden Alter Egos. Bald schon hier, bei Der Rundruf!
Bereits erschienen: Wie werde ich ein Blogger?
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Der große Ratgeber von Der Rundruf - Teil 1
von Heidi Rathew
Heutzutage ist das Internet von Blogs quasi überschwemmt. Jeder legt seine Gedanken zu den langweiligsten Alltagsereignissen gnadenlos der Öffentlichkeit offen. Kein Thema zu banal, keine Idee zu hirnrissig, um nicht Gegenstand eines Blogs zu werden. Noch größer als die Gemeinde der Besitzer eines solchen Weblogs sind jedoch die Menschen, die auch gern ein Blog führen würden, aber nicht so recht wissen wie. Hier hilft der große Ratgeber von Der Rundruf weiter. Exemplarisch stellt er an einem fiktiven Probanden namens Dirk Schmitz(*) alle Schritte vor, die nötig sind, um ein interessantes Weblog zu gestalten.
Die Ausgangssituation
Dein Name ist Dirk Schmitz, du bist 26 Jahre alt und ledig. Deine Lehre als KFZ-Mechaniker hast du mit 20 mehr oder weniger erfolgreich zu Ende gebracht und bist seitdem langzeitarbeitslos. Deine nun üppige Freizeit nutzt du, um im Park hübsche Mädels zu begaffen und ab und zu eine Runde Schach zu spielen. Nach einem Computerkurs, den dir vor zwei Jahren das Arbeitsamt bezahlt hat, ist das Internet deine neue Leidenschaft. Hier besuchst du regelmäßig kostenlose Probeseiten von Erotikanbietern und ärgerst die Diskussionsteilnehmer in Foren über IT News. Für dich ist Mounten zwar ein hoher Berg aber in Streitgesprächen bist du stets ein großer Fürsprecher für das Betriebssystem Linux. In letzter Zeit hast du viele sogenannte Blogs gelesen und auch hier das eine oder andere Streitgespräch begonnen. Das macht dir Spass! Darum möchtest du jetzt auch selbst so ein Blog dein Eigen nennen.
Die technische Vorbereitung
Dies sollte für dich Vollprofi kein Problem darstellen. Zwar weißt du nicht genau was dieses HTML ist und PHP ist nur das Geräusch mit dem du früher in der Schule die Streber von der ersten Reihe in den Wahnsinn getrieben hast, aber darüber musst du dir zum Glück keine Gedanken machen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten ganz ohne technische Kenntnisse ein Blog eingerichtet zu bekommen. Neben zahlreichen anderen Anbietern könnte deine Wahl beispielsweise auf blogger.de fallen, bei dem auch Der Rundruf ein Zuhause gefunden hat. Du meldest dich also mit deinem Namen und deiner eMail-Adresse an und bekommst ein neues, noch völlig leeres Blog. Da du weißt, dass dein Benutzername einen erheblichen Einfluss darauf hat, wie dich deine Leser einschätzen werden (Der berühmte Erste Blick), hast du diesen mit Bedacht gewählt. "Hornybiatch" heißt du nun für den Rest der Welt. Das ist irre komisch, bestimmt lachen viele von deinen Besuchern und wissen sofort was für ein kreatives Kerlchen du bist. A propos Kerlchen: natürlich hast du bemerkt, dass gerade die Blogs gut beim Publikum ankommen, die von traurigen Mädchen, die schwer mit ihrer Pupertät zu kämpfen haben, geführt werden. Diese Maske willst auch du dir überstreifen. Was werden deine Leser in 1-2 Jahren Augen machen, wenn sie merken, dass du gar kein Mädchen bist, sondern der Dirk. Andere Themen, die stets aus dem Stand erfolgreich sind, wären Katzen, Stricken oder Berufsblogs. Da du aber gegen Katzen allergisch bist, hast du keine. Stricken kannst du eh nicht und für ein Blog über deinen Beruf fehlt dir mangels Praxis schlicht das Material. Ein "Verzweifeltes-Emo-Mädchen-Blog ist also genau das richtige für dich!
Dein neues Blog
Da siehst du es nun vor dir. Es ist noch ganz weiß - das Standard-Layout. Aber Standard sind ja alle. Du bist anders! Du suchst dir eine besonders widerliche Farbkombination aus: lila Hintergrund und rote Schrift. Das sticht ins Auge! Jeder wird sich wundern, wie du auf diese tolle Idee gekommen bist. Doch das Wichtigste fehlt dir noch zu deinem Glück: Der Titel. Vorhin bei der Anmeldung hast du dir noch "Test" ausgedacht. Ein vorzüglicher Gag, den dir andere aber leider schon zunichte gemacht haben. Ein neuer Titel muss her. Hier empfehlen sich Bruchstücke aus Geschichten, die kaum jemand kennt oder Büchern die nur die Wenigsten gelesen haben. Dein Blog heißt ab jetzt: "Und wenn sie nicht gestorben sind...". Auf die drei Punkte bist du besonders stolz. Die zeigen deinen Gästen nämlich, dass das ein Zitat ist, das noch weitergeht. Sie werden dich bestimmt ganz oft fragen was denn nach den Punkten kommt und wo du so einen tollen Titel herbekommst. Du schaust dir den Titel noch einmal an und denkst dir, dass das noch nicht cool genug für ein trauriges Mädchen in der Pupertät ist. Du nennst das Blog "uNd w3nN 5Ie niChT 6Est0rb3n Sinn...". Das "Sinn" ist Absicht, das verleiht dem Titel noch mehr Tiefe!
Alle Vorbereitungen sind getroffen, nun kannst nun endlich anfangen - aber wie?
Lesen Sie demnächst bei Der Rundruf den zweiten Teil des großen Ratgebers! Erfahren Sie mehr über den Stil, die sprachliche Gestaltung und holen Sie sich kostbare Tipps zur Themenwahl von Blog-Artikeln!
(* Eventuelle Namensähnlichkeiten zu realen Personen sind rein zufällig.)
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