Fantasy-Kreaturen haben schreiben gelernt!
von Heidi RathewWaren sie noch vor Äonen die grobschlächtigen brutalen Feinde der Nordmänner, so hat sich die Art der Trolle im Laufe der Jahrtausende entscheidend geändert. Früher zogen sie mordend und brandschatzend durch Skandinavien und verwüsteten ganze Landstriche. Trolle waren ca. 2,50m große, muskelbepackte Wesen mit dicker Stirnwulst und schwarzem, zottigem Haar. Auf Sauberkeit legten sie keinen großen Wert und oft überfielen sie die Dörfer der Nordmänner und fraßen diese auf.
Foto: Lynne Lancaster
Die sonderbare Rückkehr der Trolle
Lange galten die Trolle als ausgestorben, getilgt vom Antlitz der Erde durch die tapferen Wikinger. In Norwegen und Schweden waren sie nur noch Sagengestalten, die man als kleine geschnitzte Figürchen in den Touristenzentren kaufen konnte. Doch vor einigen Jahren kehrten sie klammheimlich zurück. Die Jahrtausende sind jedoch auch an ihnen nicht spurlos vorübergegangen. Ihr Äußeres konnten sie hervorragend an das der Menschen anpassen. Heute kann man sie kaum noch von einem Schachspieler unterscheiden und auch ihre Waffen haben sich verändert. Zwang sie damals noch ihre Angst vor Metall dazu, große Keulen zu schwingen, gehen sie nun subtiler vor. Da sich auch ihr Ziel weg vom Morden, hin zum Nerven veränderte, erkannten sie schnell die weitreichenden Möglichkeiten des Internets. Hier haben sie einen natürlichen Lebensraum gefunden, der ihnen alle ihre Bedürfnisse erfüllen kann.
Der Troll heute
Die Trolle der Gegenwart sind meist männlichen Geschlechts und wie oben beschrieben leicht mit einem Schachspieler zu verwechseln. Da sie noch immer nicht viel von Hygiene halten, kleiden sie sich in die immergleichen, mit alten Speisen besudelten Kleider und das fettige Haar hängt ihnen in glitschigen Strähnen vom Kopf. Sie sind meist sehr kurzsichtig und haben einen unbändigen Sexualtrieb, den sie aber nur in den seltensten Fällen ausleben können, da es kaum weibliche Trolle gibt. Sollten sich jedoch zufälligerweise doch einmal ein Weibchen und ein Männchen dieser Art treffen, finden sie sich gegenseitig meist so abstoßend, dass es zu keiner Paarung kommt. Durch die veränderten Klimabedingungen passte sich auch die Haut der Trolle ihrer Umgebung an und sieht fast aus wie die Haut eines Menschen. Die starke Schorf-Bildung ist ein weiterer Grund dafür, dass sie sogar von ihren Artgenossen als ekelerregend empfunden werden. Trolle ernähren sich von geräuchertem Hering, den sie wegen der schönen Farbe jedoch nur annehmen, wenn er mit Paprikapulver gewürzt ist. Da sie nicht in der Lage sind, diese selbst zu fangen, sind sie darauf angewiesen, von anderen Menschen damit gefüttert zu werden.
Immer wieder Freitags...
Auch die Erbfolge der Wikinger reicht bis in unsere Zeit und so haben die Nachfolger dieser einst so mutigen Recken die Gefahr, die von den neuen Trollen ausgeht, längst erkannt. So entbrennt jede Woche aufs neue immer am Freitag der Krieg zwischen beiden Parteien. Während noch unerfahrene Wikinger versuchen, die Trolle mit Flammen zu bekämpfen, haben die Erfahreneren unter ihnen erkannt, dass ein Troll nur dann zu töten ist, wenn er oft genug und von einer ausreichend großen Menge in einen tiefen Brunnen geworfen wird. Das dabei entstehende Geräusch ist gleichzeitig der Name dieser unter den Trollen geführchteten Technik. Experten sind sich jedoch nicht sicher, ob Trolle vielleicht nach ihrem Tode die Möglichkeit haben, wiedergeboren zu werden.
Einer der Schauplätze dieses Flammenkrieges ist, neben der Höhle des Golems, auch das Heisse Forum, ehemals ein Hort der Weisheit, der aber von zahlreichen Trollen immer wieder in ein Trümmerfeld verwandelt wird. Hier versuchen sie sich zu tarnen, in dem sie sich - oft plump opportunistisch - die populärsten Standpunkte zu eigen machen. Allerdings meist in völlig unpassenden Situationen. So predigen sie oft von fehlerlosen Pinguinen oder der vielseitigen Netzbohne. Eine besonders dreiste Abart, der sogenannte Gewissenstroll, versucht auf besonders durchsichtige Weise mit dem allzeit erhobenen Zeigefinger auf die moralischen Verfehlungen der Wikinger aufmerksam zu machen. Er gibt auch in vollkommen themenfremden Diskussionen an, stets Fairtrade-geförderten Kaffee zu kaufen, PC-Zubehör ausschließlich "beim unabhängigen kleinen Computerladen um die Ecke" zu bestellen, kein elektronisches Gerät zu benutzen, das nicht zumindest auf Debian basiert (was schon allerhand für ein Fieberthermometer ist) und die Urlaubsmail an Mutti mit 1024 Bit zu verschlüsseln. (Bis vor kurzem hat er zusätzlich den MD5 Hash am Telefon durchgegeben, aber da MD5 quasi geknackt ist, lohnt sich das nicht mehr.) Auf der anderen Seite hausiert er jedoch auch stets mit einem gewissen medialen Autismus ("Ich schaue nie fern. Das Fernsehen von heute ist geistloser Schrott", "Wer Social Networking Plattformen benutzt, ist exhibitionistisch veranlagt" oder "Öffentlich-rechtliche Sender sind etwas für Idioten und Kommunisten."). Auch mit seinem völligen Unverständnis in wirtschaftlichen Belangen kokettiert der Troll von heute gern.
Der Rundruf rät:
Wenn Sie den modernen Troll einmal in freier Wildbahn erleben wollen, schauen Sie doch einfach mal beim oben genannten Forum vorbei. Räume in denen die Trolle dort besonders wüten, haben die fürsorglichen Wikiner übrigens mit einem roten Fleck neben der Tür gekennzeichnet.
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