Donnerstag, 23. April 2009
Wie werde ich ein Blogger? III

Der große Ratgeber von Der Rundruf Teil 3

von Heidi Rathew

So, Dirk - der erste Beitrag steht, die Besucher strömen in Massen auf dein Blog und du bist das neue große Vorbild der vielen traurigen Siebtklässlerinnen. Eigentlich könnte dein Bloggerleben nicht schöner sein, da bemerkst du etwas sonderbares. Eine gewisse Fallen-Angel hat dir in dein Gästebuch geschrieben. Wortlaut:


duNkle GrÜße!
Schreyb mal übber diCh selbst. Deine SeEle ist miR soo vertraut *seufz*

cut me...
Fallen-Angel

Komische Leute hier. Spätestens jetzt merkst du: Die Zeit ist reif für eine sogenannte "Über..."-Seite. Genau Dirk! Das ist das nächste tolle Ding, das du für ein gutes Blog brauchst. Bei blogger.de löst du das am besten durch einen eigenen Beitrag, den du nicht auf der Startseite anzeigst, später aber im Layout verlinkst. Du loggst dich also ein und denkst dir einen schönen Text aus. Beginnen sollte er auf jeden Fall mit: "Ihr könnt mich nicht verstehen!!1!" (Die 1 ist Absicht, das wissen deine seltsamen Fans). So, aber wie nun weiter? Da du ja schon einige ähnliche Blogs gelesen hast, weißt du was zählt:


1. Deine Zielgruppe ist zutiefst devot!

Deshalb machst du's wie all die anderen und beschimpfst eventuelle Besucher mit hippen Szene-Kosenamen wie "Maden", "fags" oder "Idioten". Keine Sorge, die mögen das und erkennen so auch gleich, wie individuell du bist - wie toll du dich von den anderen abgrenzen kannst.


2. Deine Zielgruppe mag düstere Bildchen!

Du brauchst unbedingt jemanden der sich sehr gut mit Grafikprogrammen auskennt. Ach ja - und natürlich eine Digitalkamera. Damit fotografierst du deine kleine Schwester oder das gestörte Mädchen von nebenan. Am besten in einer bedeutungsschwangeren Pose. Sowas wie verträumt in die Ferne blicken. Oder gen Himmel. Falls ihr ein eisernes Treppengeländer habt, lass sie da durch schaun. Das sieht aus wie weggesperrt. Stacheldraht ist auch gut, das hat was von Heim für besonders schwere Fälle. Wunderbar. Dein Freund mit dem Grafikprogramm kann dir jetzt mit viel schwarz und Weichzeichner aus dem Foto das neue Bild deines alter egos machen. (Und bei Bedarf den Stacheldraht einfügen, wenn du bei der Motivwahl Kompromisse eingehen musstest.)




Foto: caitlin p

3. Beschreibe dich so negativ wie möglich!

Selbstkasteiung ist IN! Du bist Dreck! Jedenfalls sollen alle wissen, wie schwer dein Leben wäre, wenn du halb so alt und weiblich wärst. Du bist sick, verstört, depressiv, sarkastisch, schwierig, melancholisch, sensibel, paranoid, cholerisch, unergründlich, schüchtern, weird, selbstzerstörerisch, kalt, unverstanden, paradox, verlassen, blutdurstig, launisch, phlegmatisch, irritiert, zynisch, belastend und übernächtigt - kurz emo. Erfinde ein paar seltsame Hobbies, was dir als regelmäßiger, anonymer Besucher japanisch angehauchter Imageboards ja nicht allzu schwer fallen dürfte. Versuch es aber im legalen Rahmen zu halten.


4. Grüße Leute, die dich nicht kennen!

Oder Menschen, die es gar nicht gibt. Namen von anderen depressiven, pupertierenden Mädchen kannst du wahllos aus anderen Blogs abschreiben. Es gibt tausende. Sich neue Namen einfallen zu lassen, ist da schon deutlich kniffliger. Am besten du fängst mit einer kleinen Fingerübung an. Schreibe alle Jungs aus deiner alten Schulklasse auf und dazu, dass du sie hasst. Das ging leicht! Nun bilde neue Wörter aus den Namen der Mädchen aus deiner Klasse. Die grüßt du dann. Das klingt jetzt alles sehr verwirrend, aber genau dieses Gefühl willst du ja bei deinen Lesern hervorrufen.


5. Der Abschluss

Was am Ende einer "Über..."-Seite nicht fehlen darf, ist eine Reminiszenz an einen besonders verstört klingenden Grunge- oder alternativ auch ein Black- bzw. Deathmetalsong. Slipknot, Marilyn Manson, vielleicht auch ein alter Nirvanatrack. Noch besser wäre allerdings irgendwas sehr Spezielles. Irgendeine regionale Trashband mit aggressiven Texten macht immer was her. Aber auf jeden Fall englisch! Daraus nimmst du wahllos ein Stückchen Text mitten aus einer Strophe, das so allein keinerlei Sinn hat. Lass es am besten bedeutungsschwanger rechtsbündig am Ende deiner "Über..."-Seite stehen.


Maybe we're all the children of a star,
Misguided in direction, our misdirection
Pardon me while I pray for light(*)



Sollten Sie wie Dirk noch weitere Fragen zu Ihrem neuen Weblog haben, scheuen Sie sich nicht, uns über die Kommentarfunktion eine Nachricht zukommen zu lassen.


Bereits erschienen: Wie werde ich ein Blogger? und Wie werde ich ein Blogger? II

(*) Mudvayne - (Per)Version Of A Truth

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Post von Hirawith

Lieber Herr Wagner,

was musste ich heute für Sie kämpfen. Gleich nachdem mein Redaktionsleiter Ihre heutige Beichte gelesen hatte, war er wild entschlossen, eine reißerische Enthüllungsgeschichte über Sie zu veröffentlichen. "Wagner klaute Woolworth pleite!" war da zu hören und "Raub-Wagner gesteht finstere Vergangenheit!". Ich konnte Ihn davon abhalten, konnte Sie vor dem öffentlichen Pranger bewahren, denn ich weiß, Ihre Zeit ist noch nicht gekommen. Jeder macht ab und an einen Fehler.

Nichtsdestrotrotz bin ich enttäuscht, dass nun gerade Sie unserer sich damals eben erst erholenden Volkswirtschaft auf so grauenhafte Weise zugesetzt haben. Mag sein, dass in Ihnen nostalgische Gefühle wach werden, wenn Sie sich daran erinnern, wie Sie als Zwölfjähriger Bonbons gemopst haben. Auch ich habe mir damals mit Gelegenheitsjobs einen harten Kanten Brot und an Feiertagen eine Bockwurst mit Senf verdient. Kaufhausdetektiv in Regensburg war so eine Anstellung, die ich damals gern übernahm.

Ich habe Sie beobachtet, die Jahre über. Ich habe gesehen, wie Sie Schaufensterpuppen betatscht haben. Ich war in der Nähe, als Sie in der Männerunterwäscheabteilung durch die Umkleidekabinenvorhänge kiebitzten. Ich habe Sie aufwachsen sehen, Herr Wagner, und ich hielt meine schützende Hand über Sie. Als Sie dann am Tag der Veröffentlichung von "Penny Lane" in der Schallplattenabteilung herumlungerten - Sie waren im zarten Alter von 23 gerade in Ihrem ersten Jahr beim Axel-Springer-Verlag - und danach fehlte plötzlich eine der begehrten Platten, da hab ich Sie in Schutz genommen. Ich habe für Sie gebürgt, denn ich war fest davon überzeugt: Der Franz Josef ist vielleicht ein Schelm, aber das hätte er nicht getan!


Heute lese ich Ihr Geständnis und es bricht mir das Herz.



In stiller Enttäuschung
Ihr Ede Hirawith


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