Lieber Herr Wagner,
was musste ich heute für Sie kämpfen. Gleich nachdem mein Redaktionsleiter Ihre heutige Beichte gelesen hatte, war er wild entschlossen, eine reißerische Enthüllungsgeschichte über Sie zu veröffentlichen. "Wagner klaute Woolworth pleite!" war da zu hören und "Raub-Wagner gesteht finstere Vergangenheit!". Ich konnte Ihn davon abhalten, konnte Sie vor dem öffentlichen Pranger bewahren, denn ich weiß, Ihre Zeit ist noch nicht gekommen. Jeder macht ab und an einen Fehler.
Nichtsdestrotrotz bin ich enttäuscht, dass nun gerade Sie unserer sich damals eben erst erholenden Volkswirtschaft auf so grauenhafte Weise zugesetzt haben. Mag sein, dass in Ihnen nostalgische Gefühle wach werden, wenn Sie sich daran erinnern, wie Sie als Zwölfjähriger Bonbons gemopst haben. Auch ich habe mir damals mit Gelegenheitsjobs einen harten Kanten Brot und an Feiertagen eine Bockwurst mit Senf verdient. Kaufhausdetektiv in Regensburg war so eine Anstellung, die ich damals gern übernahm.
Ich habe Sie beobachtet, die Jahre über. Ich habe gesehen, wie Sie Schaufensterpuppen betatscht haben. Ich war in der Nähe, als Sie in der Männerunterwäscheabteilung durch die Umkleidekabinenvorhänge kiebitzten. Ich habe Sie aufwachsen sehen, Herr Wagner, und ich hielt meine schützende Hand über Sie. Als Sie dann am Tag der Veröffentlichung von "Penny Lane" in der Schallplattenabteilung herumlungerten - Sie waren im zarten Alter von 23 gerade in Ihrem ersten Jahr beim Axel-Springer-Verlag - und danach fehlte plötzlich eine der begehrten Platten, da hab ich Sie in Schutz genommen. Ich habe für Sie gebürgt, denn ich war fest davon überzeugt: Der Franz Josef ist vielleicht ein Schelm, aber das hätte er nicht getan!
Heute lese ich Ihr Geständnis und es bricht mir das Herz.
In stiller Enttäuschung
Ihr Ede Hirawith
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